„Ein sehr umfangreiches Hobby“ – Jazz Club-Booker Nicolas Sempff im Interview

Es musste weiter gehen nach dem Tod von Mike Gehrke. Darum hat Nicolas Sempff gar nicht groß nachgedacht, als er das Booking für den Jazz Club übernommen hat. Mittlerweile weiß der 38-Jährige, dass diese ehrenamtliche Tätigkeit schon ein „sehr umfangreiches Hobby“ ist. Und wer sich das Club-Programm der letzten Jahre anschaut, erkennt, dass da jemand sitzt, der dieses Handwerk zwar nicht gelernt hat, aber sehr viel davon versteht und die Aufgabe mit großem Engagement betreibt.

Nicolas Sempff arbeitet als freier Journalist. Mitglied im Jazz Club ist er seit 1989. Im selben Jahr hat er auch angefangen zu studieren. „Aber Philosophie darf man ja sehr lange studieren, von daher ist da ein Ende noch nicht abzusehen“, fügt er schmunzelnd an.

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Seit drei Jahren gibt es im Jazz Club einen neuen Vorstand. Du gehörst diesem Team an. Wie ist die Aufgabenverteilung?

Wir haben das ganze nach Mikes Tod im Juni 2004 mit vier Personen übernommen. Mittlerweile sind wir zu fünft. Ilka Stummeyer ist nach ungefähr einem Jahr noch dazu gekommen. Die Aufgabenverteilung ist eigentlich relativ klar. Wir hatten das große Glück, dass wir mit Bernd Strauch einen ganz wesentlichen Mann als 1. Vorsitzenden gewinnen konnten. Er zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass er als 1. Bürgermeister der Stadt Hannover ein ganz wichtiges Amt inne hat, sondern auch als Jazz-Schlagzeuger in die Szene integriert ist, Stallgeruch hat. Er nennt sich in seiner falschen Bescheidenheit ja immer einen „C-Trommler“, um deutlich zu machen, dass er nicht den Anspruch hat, ein gut bezahltes Konzert im Jazz Club selber spielen zu wollen (lacht).

Aber Spaß bei Seite: Bernd Strauch ist für uns eine ganz wichtige Integrationsfigur und ein Garant für Kontinuität. Er selber hat durch seine berufliche Tätigkeit natürlich nicht die Zeit, sich auch um die Details, die Logistik, das Management zu kümmern – deswegen gibt es dieses fünfköpfige Team. Zweiter Vorsitzender und Schatzmeister ist Uwe Thedsen. Er ist derjenige, der auf der einen Seite das Geld zusammenhalten muss, es auf der anderen Seite – mit Bernd Strauch zusammen – aber auch organisieren muss.

Das ist eine ganz wesentlich Tätigkeit heute im Kulturbetrieb allgemein: Die Mittel einzuholen, die man für den Erfolg eines solchen Clubs braucht. Wir haben ja wenig öfffentliche Fördermittel, deswegen sind die privaten Sponsoren ganz wichtig. Bernd Strauch und Uwe Thedsen sind also unser geschäftsführendes Team. Dazu kamen dann Lothar Krist und meine Wenigkeit. Wir haben am Anfang gemeinsam das Booking übernommen, doch da Lothar Krist als NDR Redakteur, als Musiker und Bigband-Leiter nicht die Zeit findet, sich intensiv um diesen Bereich zu kümmern, habe ich seit ungefähr Mitte 2005 das Booking weitestgehend allein übernommen, während Lothar Krist als künstlerischer Berater für bestimmte Projekte und Fragen zur Verfügung steht.

Ilka Stummeyer ist dann noch zum Team gestoßen, weil sie als Architektin bei der Unterhaltung und Pflege eines solchen Hauses eine ganz wesentliche Kompetenz einbringt. Das war besonders bei dem großen Umbau im letzten Jahr ganz wichtig.

Hattest Du bereits vorher Erfahrungen auf dem Gebiet Booking oder bist Du da in Neuland geraten?

Ich würde lügen, wenn ich sage, ich hättte sie gehabt. Hauptanliegen nach dem Tod von Mike war es, die Kontinuität des Clubs zu wahren. da hat man sich am Anfang nicht so fürcherlich viele Gedanken um den Umfang der Aufgabe gemacht. Das Booking fußte so ein bisschen auf den Sachen, die man sich bei Mike so abgeguckt hat.

Ich bin ja nun seit 18 Jahren dabei, habe beinahe jeden Tag mit ihm zutun gehabt und will daher schon behaupten, dass ich von dem, was er in den letzten zehn Jahren gebucht hat, relativ viel sehr nah mitbekommen habe. Kontakte, Ideen etc. waren also vorhanden und auch simple Dinge wie Gagenniveau konnte ich dadurch schon einschätzen. Es war also sozusagen eine Erfahrung aus zweiter Hand; keine selbstgemachte, aber eine miterlebte.

Wie schwierig ist es denn, so ein zweimonatiges Programm zusammenzustellen. Was sind die Hauptkriterien?

Hauptkriterium für ein gutes Programm ist für uns eigentlich seit langem, möglichst alle Facetten des Jazz abzubilden. Das klingt zunächst mal sehr oberflächlich oder abstrakt, ist aber enorm wichtig. Und wenn ich das richtig beurteile, erfüllt es in unserer Qualität kaum ein anderer Jazz Club in Deutschland. Bei uns findet man vom traditionellen Jazz über die zeitgenössischen Mainstream-Spielformen, den Modern Jazz bis zur Avantgarde, aber auch Seitenthemen wie Tango-Jazz, Latin Jazz, Fusion oder auch Blues auf gutem Niveau abgebildet. Das ist relativ ungewöhnlich.

Es gibt wenig Clubs auf internationalem Niveau, die heute in Deutschland noch traditionellen Jazz buchen. Es ist natürlich auch eine Frage, wie man seine Zielgruppe einschätzt und wie man persönliche Vorlieben im Programm umsetzt. Wir haben aber gesagt, der Jazz ist nicht mit John Coltrane oder Charlie Parker entstanden, sondern es gibt auch Spielformen des Jazz, die älter sind. Das ist natürlich auch eine Kontinuität, die bei uns im Club gewachsen ist und die sich auch in der Splittung des Programms in den Montags- und Freitagsterminee widerspiegelt.

Wir bemühen uns aber, das etwas breiter anzulegen, die Grenzen zwischen den Montagen und Freitagen etwas verschwimmen zu lassen, weil wir auch merken, dass die Zielgruppen sich ändern. Auch an einem Jazz Club geht die Demographie nicht vorbei. Der Wandel ist schon wesentlich.

Wo liegen die größten Schwierigkeiten?

Ein so vielfältiges Programm zusammenzustellen ist nicht so einfach, weil man es dadurch natürlich auch mit unterschiedlichen Szenen zu tun hat. Je breiter man das Booking anlegt, mit umso mehr Agenturen, Künstlern und Mittelsmännern muss man sich arrangieren. Würden wir nur auf Mainstream setzen, wäre es sicherlich einfacher. Wenn man allerdings in einem kleinen Club ein facettenreiches Programm auf hohem Niveau haben will, muss man viele Termine lange freihalten, um eben kurzfristig interessante Dinge im Windschatten der großen Tourneen noch buchen zu können…

Oder wie kürzlich im Fall der Headhunters auch mal an einem anderen Wochentag öffnen…

Das ist richtig. So flexibel muss man manchmal sein. Wobei wir schon darauf achten müssen, die Kontinuität mit den Montags- und Freitagsterminen zu wahren, einfach deshalb, weil unsere vielen Stammgäste ihre Besuche so besser planen können. Das ist auch ganz wichtig. Im Fall der Headhunters haben wir uns auf die Bedürfnisse einer Tourneeagentur einstellen müssen. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir nicht mit den großen Euroscheinen wedeln können. Da muss dann vieles zusammenpassen und man ist auf Kooperation angewiesen.

Wo hast Du bei der Programmgestaltung Schwerpunkte gesetzt. Was ist bei aller Rücksichtnahme auf Publikumserwartungen Deine eigene Handschrift?

Es ist immer schwierig, die eigene Arbeit zu beurteilen. Aber ein Lob, das öfter kommt und das mir sehr gefällt, ist, wenn die Leute sagen: „Das Programm ist bunter geworden“ – wenn sie damit wirklich bunter meinen und nicht beliebig: Wenn das Niveau gehalten worden ist und die Auswahl der bunten Farbtupfer auch zum Club passt. Beispielsweise Konzerte von NoJazz oder Quadro Nuevo. Da würde keiner behaupten, dass das Straight Ahead-Jazzbands sind, die nun genau in den Mainstream eines Clubs passen, aber sie haben Jazz-Affinität und bereichern das Programm.

Was uns darüberhinaus sehr am Herzen liegt, ist die Bindung der lokalen Jazzszene an den Club wieder mehr zu stärken. Der Kontakt mit der Musikhochschule ist uns sehr wichtig. Er war etwas eingeschlafen, wird jetzt aber wieder intensiviert. Der Jazz Club kann nicht von dem internationalen Programm leben. Man braucht eine Basis, ein Fundament in der Stadt. Und das ist ja auch das, was Spaß macht. Der regelmäßige Kontakt mit Musikern vor Ort. Es ist schön, wenn man über die Jahre verfolgen kann, wie sich junge Musiker, wie zum Beispiel David Milzow, entwickeln. Ich kenne ihn seit 15 Jahren, habe seine ersten Übungsstunden auf einem Saxophon erlebt, die er in einem Saxophonladen absolviert hat, schon damals als junger Anfänger auf der Suche nach einem idealen Sound. Es macht einfach Spaß zu sehen, wie solche Leute ihren Weg finden. Wenn man das Gefühl hat, so ein Club bietet nicht nur ein Kommen und Gehen an Konzerten.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater aus?

Wir bieten zum Beispiel seit langem allen Studenten des Studiengangs Jazz an der Hochschule für Musik und Theater Hannover freien Eintritt. Außerdem hat zum Beispiel Oliver Struck vor einiger Zeit sein Diplomkonzert im Jazz Club gespielt. Der Kontrabassist Andreas Edelmann wird das mit Center jetzt am 4. Juni machen Es ist ja durchaus im Sinne der Studenten, ihr Diplomprüfungs-Konzert, was ja so ein bisschen die Kür ist, sozusagen in „freier Wildbahn“ zu absolvieren. Natürlich muss das ins Programm passen, aber so zwei oder drei Diplomprüfungskonzerte im Jahr von Musikern, die wir auch kennen, das können wir uns gut vorstellen. Und im Herbst wird mit Herbert Hellhund der Leiter des Studiengangs mit seinem Sextett bei uns spielen.

Jean-Michel Pilc, der im April bei uns war, hat vor seinem Konzert einen Workshop an der Hochschule für Musik und Theater gegeben. Das machen wir in Kooperation mit der Musikhochschule. Für die Musiker ist das eine schöne Sache und auch finanziell attraktiv. Darüberhinaus macht es das Booking etwas leichter, wenn man die Möglichleit hat, dem Musiker um das Konzert herum eine zusätzliche Einnahmequelle verschaffen kann.

Hast Du einen Wunsch, wen Du gerne mal für den Club buchen würdest?

Musikalische Wünsche gibt es sicherlich viele, realistisch wäre vielleicht das Dave Holland Quartet. Einzelne Musiker des Quartetts – Steve Nelson, Nate Smith und Chris Potter – hatten wir im Club schon zu Gast, aber eben noch nicht die ganze Band mit Dave Holland. Das wäre schon schön, wenn das mal klappen würde.

Noch einen Satz zum Festival enercity Swinging Hannover…

enercity Swinging Hannover ist so ein wenig unser Aushängeschild – das Highlight des Jahres. Das Konzept des letzten Jahres hat sich bewährt: Fünf Bands zu präsentieren, die in einem weiten Strahlungsbogen – von Oldtime über swingenden Mainstream, Bebop und Blues bis hin zu Funk viele Facetten des Jazz abbilden. Das Wesentliche kann man leider nicht beeinflussen: Das ist das Wetter.

Interview: Karsten Wende


Der Jazz Club sucht noch ehrenamtliche Helfer. Jazzinteressierte, junge Leute, die mitmachen wollen, sind herzlich willkommen. Kontakt entweder direkt im Jazz Club bei den Konzerten oder über die Homepage www.jazz-club.de