Oktober 2002

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Morelenbaum 2/Sakamoto: Casa
(Sony Classical)

Böse Menschen mögen es Barmusik nennen, Fahrstuhl-Muzak oder Musik, die nicht beim Bügeln stört. Lange Zeit galt Bossa Nova als minderwertig und nur wenige gaben dieser brasilianischen Musikform die Beachtung, die sie wirklich verdient. Ein Frevel, denn unbestritten ist, dass der Hauptarchitekt des Bossa, Antonio Carlos Jobim, zu den größten Songschreibern des 20. Jahrhunderts zählt. Sein Gespür für delikate Melodien und luftige harmonische Transparenz ist unübertroffen.
Dem Geheimnis von Jobims Kompositionen sind nun der brasilianische Cellist Jaques Moerelenbaum, seine singende Frau Paula und der japanische Avantgarde-Pop-Pianist Ryuchi Sakamoto nachgegangen. „Casa“ heißt die CD mit 17 weitgehend unbekannten Jobim-Tracks und einer abschließenden Improvisation im Geiste des Meisters, aufgenommen im Haus von Jobim. Befreit vom schnöden Streicher-Ballast, reduziert auf eine kammermusikalische Instrumentierung, entfaltet sich so die ganze Brillanz der jobimschen Kunst: melancholisch, aber positiv, kunstvoll, aber geradlinig. Musik so schön, schwermütig und unwirklich wie ein Sonnenuntergang am Zuckerhut.

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Harry Whitaker: Black Renaissance
(Luv’nHaight/Groove Attack)

Ein Mysterium der Jazzgeschichte: Von der Existenz dieser nun wieder als CD aufgelegten LP aus dem Jahr 1976 wussten nur wenige Vinylomanen. Angeblich ist sie nur in Japan erschienen – und das auch nur in kleiner Stückzahl. Diejenigen, die sich im Besitz des guten Sammlerstücks befinden, aber sprechen von einem epochalen Werk. NuJazz-Guru Gilles Peterson etwa zählt das Titelstück „Black Renaissance“ neben Coltranes „A Love Supreme“ und Sun Ras „Sleeping Beauty“ zu seinen Lieblingstücken.
Gut: um wen geht es? Um den Pianisten/Keyboarder Harry Whitaker, bekannt geworden durch seine Zusammenarbeit mit Roy Ayers und Roberta Flack. Und was ist nun das Besondere an „Black Renaissance“, einer LP, die neben dem 23-minütigen Titelstück nur noch das viertelstündige „Magic Ritual“ beinhaltet? Nun, es ist einer von wenigen Beispielen, wo Rap sich mit Jazz mischt – nicht unähnlich dem afrozentrischen Jazz-Funk von Mtume (Land Of The Blacks), Cannonball Adderleys (Soul Of The Bible) Norman Connors (Dance Of Magic) oder den Last Poets. Spirituelle Soul-Stimmen, spoken word, modale Jazz-Exkurse, packende Beats- und Bass-Linien: wer sich für diese Art von „schwarzem“ Jazz interessiert, kommt an diesem Re-Issue nicht vorbei.

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Dave Holland Big Band: What Goes Around
(ECM/Universal)

Es kommt, wie es kommen muss. So oder ähnlich verrät es uns der Albumtitel. Dave Holland hat also ein Bigband-Album aufgenommen. Eigentlich nichts Außergewöhnliches. Für den Bassisten, der in den Polls der großen Jazz-Magazine mit seiner Band ein Abonnement für den ersten Platz hat, aber ist dies ein großer Schritt. Denn stets hat Holland in den letzten Jahren Alben nur mit seiner eingespielten working Band aufgenommen – und die war ein von der Kritik umjubeltes Musterbeispiel für dynamisches Interplay. „Never change a winnig team“, heißt es doch so schön in der Sportsprache. Aber manchmal kommt es doch wie es kommen muss.
Holland hat nun seine erste BigBand-Platte aufgenommen. Mit seinen bewährten Mitstreitern (Billy Kilson; drums; Steve Nelson; Vibarphon; Chris Potter, Tenor-Sax; Duane Eubanks; Posaune) und einer Aufrüstung im Bläserbereich. Herausgekommen ist eine CD, die keinen Quantensprung darstellt, aber den gewohnt dynamischen, homogenen Gruppensound seiner Band um schillernde Klangfarben erweitert.

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tok tok tok: Ruby Soul
(Einstein/ZYX)

Sag Jazz zu deiner Seele: Mit diesem, frei übersetzten Wahlspruch, hat sich das Duo tok tok tok in die Herzen ihrer Fans gespielt. Wenn tok tok tok in Hannover auftreten, sind ihre Konzerte meist ausverkauft. Tonkunbo Akinro singt mit knisternder Spannung über 50 Wege, den Lover zu verlassen. Saxofonist Morton Klein ersetzt als Beatboxer bzw. Mouthdrummer schon mal den Groove von Stevie-Wonder-Stücken. Originell sind tok tok tok allein schon wegen ihrer unnachahmlichen Art, Cover-Versionen einen ganz besonderen Dreh zu geben.
Auf ihrer neuen CD „Ruby Soul“ aber spielen sie (erstmals) ausnahmslos Eigenkompositionen. Und: es funktioniert. Dass sie ähnlich hervorragendes Songmaterial wie die Herren Wonder, Lennon oder Simon hinbekommen, wäre vermessen, zu glauben. Aber tok tok tok haben das gewisse Etwas, das Gespür für Feeling, Sound und Transparenz, dass sie zu mehr macht, als zu einer weiteren Bar-Jazz-Band. Weiteres Plus: zu der bekannten Piano-Rhodes/Bass-Begleitung gesellt sich diesmal hin und wieder ein Streicher-Trio.

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Nils Landgren: Sentimental Journey
(Act)

Nils Landgren wird zwar in den Fachgeschäften unter Jazz einsortiert, aber diese CD dürfte allen gefallen, die auf gute Musik stehen, egal wie man sie nun klassifiziert. Landgren, Posaunist und Sänger, hat sich hier ausschließlich auf Balladen konzentriert. Der erste Eindruck beim Lesen der CD-Rückseite: Geht der jetzt auf Nummer sicher? Will er jetzt zum Liebling von Frauenzeitschriften-Leserinnen werden, die dank Norah Jones oder Dianna Krall auf den Jazz-Trichter gekommen sind? Keine Angst: bei der Auswahl der Stücke scheint zwar das Nummer-Sicher-Prinzip vorzuherrschen, aber Landgren und seine Band verleihen den Jazz-Evergreens und Pop-Liedchen wie etwa Stings „Fragile“ eine faszinierende Leuchtkraft. Vor allem auch, weil die bizarren Streicherarrangements des Fleshquartett immer wieder schön jeden Anflug von Sentimentalität verscheuchen.

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NoJazz: NoJazz
(Warner)

Vorsicht! Gibt eine Band schon mit ihrem Namen die Richtung vor, in die es wohl gehen soll, sträuben sich sofort die Nackenhaare. Hey, seht her, wir machen NoJazz, wollen uns NoJazz sagen. Wie abgeschmackt. Der erste Eindruck bestätigt Vorurteile: ah ja, Jazz-Studenten beweisen ihren unglaublich weiten Horizont und kreuzen wild House und Jazz, Latin und HipHop – aber immer schön clubkompatibel.
Dann lässt ein Name auf dem Booklet aufhorchen: Produced by Teo Macero, der große Tonspur-Meister, legendär durch seine Miles Davis Electric-Jazz-Aufnahmen und über 70 Jahre alt. Also nochmal gehört und das Hören macht wirklich Spaß: die Beats wummern mächtig druckvoll, die Produktion mit Buena Vista Social-Club-Samples ist auf der Höhe der Zeit (!!!) und die Jazz-Bläser machen über den phatten House-Grooves mächtig Alarm. Wenn NoJazz, dann so!

Rezensionen von Tiga Schwope