David Murray Power Quartet: Like A Kiss That Never Ends
(Justin Time/Sunny Moon)
Er zählt zu den Produktivkräften des Jazz, hat Grenzen ausgelotet und immer wieder die Nahtstelle zwischen Tradition und Moderne auf ihre Belastbarkeit getestet. Nach Gospel- und Worldmusic-Jazz-Experimenten, einer viel beachteten Coltrane-Hommage verzichtet der Tenorsaxofonist David Murray auf seiner neuen CD bewusst auf die konzeptionelle Klammer. Stattdessen spielt er mit seinem erstklassigen Quartett (John Hicks, Ray Drummond, Andrew Cyrille) unaufgeregten Modern Jazz ohne große Ausschläge, aber mit einer Transparenz und Ausgewogenheit, wie sie nur ein Meister mit seiner Reife gelingen kann.
John Patitucci: Communion
(Concord/Edel Contraire)
Als Bassist in Chick Coreas Band hat er sich seine Lorbeeren erspielt. Sein Markenzeichen: elegante, weichgezeichnete Basslinien, die genau die richtige Balance aus Virtuosität und gruppenbezogener Dynamik treffen. Für sein neues Solo-Album hat er Stars wie Joe Lovano, Brad Mehldau oder Branford Marsalis in’s Studio geladen, was alleine schon seinen Stellenwert dokumentiert. Mit ihnen zeichnet Patitucci ein stilistisch weitgefächertes, farbenfrohes Gemälde des Jazz, wo er auf die ganze Klangfarbenpalette lateinamerikanischer Musik zurückgreift.
Supersilent: 5
(Rune Grammofon/ECM)
Das schwedische Rune Grammofon-Label steckt seinen Veröffentlichungs-Parcours sehr eng. Seine Spezialität sind elektronische Projekte, die im Randbereich zwischen Ambient und zeitgenössischer Musik agieren. Wie etwas Supersilent, deren kryptische Klangskulpturen sich gängigen elektronischen Klischees entziehen und so zu den überzeugensten Beispielen für diese Art von Musik zählen.
Freddie Hubbard: New Colours
(HipBop/Edel Contraire)
Die Trompetenlegende, sowohl im Avantgarde- wie im Soul-Jazz-Feld erfolgreich, meldet sich zurück. Von der alten Klasse aber ist nicht mehr viel zu spüren – was aufgrund seiner Krankheit (Lippenkrebs) auch nicht zu erwarten war. Aber auch wenn sich Hubbard in den explosiven Bigband-Arrangements seines New Jazz Composers Octetts versteckt, so besitzt doch „New Colours“ einen Drive und eine Frische, die an seiner großen Tage auf dem Blue Note- und CTI-Label erinnert. Was bei Solisten wie Kenny Garrett, Javon Jackson und den antreibenden Swing von Idris Muhmmad und Joe Chambers wiederrum nicht verwundert. Besonders gelungen: die Neubearbeitung des Hubbard-Klassikers “Red Clay“.
Charles Kynard: The Soul Brotherhood
(Prestige/ZYX)
Eher im zweiten Glied der B3-Bomber ist der Organist Charles Kynard anzusiedeln. Dabei sind gerade seiner in den 60er-Jahren aufgenommenen Alben ein gefundenes Fressen für Rare-Groove-Afficinados. So wie diese beiden auf einer CD zusammengefassten Alben „The Soul Brotherhood“ und „Reelin With The Feelin“. Tracks wie „Boogalooin’“ oder „Slow Burn“ geben die Richtung vor: fetter Orgel-Jazz mit Boggaloo-Feeling und messerscharfen Funk-Licks. Dank Groove-Garanten wie Grant Green oder Wilton Felder ein Muss nicht nur auf den Lounge-Tanzflächen rund um den Globus.
Lonnie Liston Smith: Cosmic Funk, Visions Of A New World, Expansions
(RCA/BMG)
Gleich drei Meilensteine des Space-Funk-Jazzers hat das RCA-Label nun wiederveröffentlicht – mit 24-bit-Remastering und im schmucken Original-Design. Wer die Vinyl-Originale nicht schon längst besitzt sollte hier unbedingt zugreifen. Smiths unnachahmliche Mischung aus spirituellen Jazz-Vibes, schwebenden Fender-Rhodes-Sounds und trockenem Funk-Backing ist immer noch eine willkommene Sample-Quelle und noch heute zeitlos. Im Rahmen der Wiederveröffentlichungspolitik des Labels gibt es zudem ein Wiedersehen mit den Meisterwerken von Gil Scott Heron wie „Free Will“ oder Pieces Of A Man“ oder dem Kultalbum „Survival Of The Fittest“ der Herbie-Hancock-Begleitband The Headhunters.
David Fiuczynski’s Headless Torsos: Amandla
(EFA)
Bei P-Funker Bernie Worrell als auch bei Bigband-Jazz-Visionär George Russell hat Fiuczynski bislang seine Gitarre sprechen lassen. Wobei er schon mal genüßlich Jazz-Akkorde und Heavy-Metal-Dampfhammer zusammenführt. Auf seiner neuen CD „Amandla“ präsentiert er sich diesmal eher als Mann für’s Grobe: schmutziger, verwinkelter Fusion-Jazz mit Jam-Session-Charakter, der durchaus seine Momente hat, aber auch durch die Beschränkung auf das Gitarre-Bass-Schlagzeug-Percussion-Format auf Dauer wenig Überraschungen bietet.
José Roberto Bertrami: Things Are Different
(Far Out/Groove Attack)
Es gibt wohl keine Band, die die Leichtigkeit brasilianischer Musik mit Jazz, Funk und Soul US-amerikanischer Bauart so in Einklang brachte wie Azymuth (außer vielleicht gelegentlich George Duke). Der Keyboarder von Azymuth, Jose Roberto Bertrami, war dabei der Architekt dieses ganz speziellen Sounds. Das klingt noch heute frisch und unverbraucht und weit entfernt von den Weichspüler-Klängen der amerikanischen Smooth-Jazz-Traumfabrik. Auf seine neuen CD betont Bertrami dafür den brasilianischen Anteil seiner Musik – was für den Hörer nicht von Nachteil ist – die ideale Sommerplatte, auch wenn der bald vorbei ist.
Ernest Ranglin: Gotcha!
(Telarc/inakustik)
Mit seiner letztjährigen Afro-Jazz-CD sicherte sich die jamaikanische Gitarrenlegende Ernest Ranglin einen vorderen Platz in der Hipness-Statistik vieler Kritiker. Ganz so hip ist „Gotcha“ dann allerdings nicht ausgefallen. Diesmal stöbert Ranglin in der Ska-und Reggae-Kiste ( seinem angestammten Genre), ohne dabei viel Staub aufzuwirbeln. Dennoch kann er einige Pluspunkte sammeln: seine kristallklaren Läufe sind noch immer eine Ohrenweide und das ihm ureigene Gespür für Jazz-Harmonik und lateinamerikanischer Rhythmus-Finesse kommt überzeugend herüber.
Rezensionen von Tiga Schwope