Um den Trompeter Chet Baker ranken sich viele Mythen. Sein von Drogensucht geprägtes Leben bietet Stoff für Hollywoodfilme, wegen seiner verletzlichen Aura wurde er oft mit James Dean verglichen. Am stärksten aber wirkt noch immer seine musikalische Hinterlassenschaft nach: Chet Baker war ein der letzten großen Romantiker des Jazz, dessen Kunst unmittelbar mit seinem Leben verbunden war.
Sollte er wirklich kommen? Oder hatte er mal wieder, was in seinen letzten Lebensjahren immer öfter vorkam, den Konzerttermin verpasst, einen falschen Zug bestiegen oder es sich einfach anders überlegt. Schließlich aber, eine Stunde nach dem ursprünglichen Konzertbeginn, tauchte Chet Baker mit seinen Musikern auf.
Eine hagere, eingefallene Gestalt, die sich da mit Mühe ihren Weg durch den überfüllten Jazz-Club zu Hannover im Januar 1988 bannte. Jemand, der aussah, als ob er seit Wochen keine Dusche gesehen hatte und auch auf der Bühne eine bemitleidenswerte Gestalt abgab – der aber, als er seine Trompete ansetzte, trotz brüchiger Intonation, einen eigenartigen Glanz ausstrahlte. Danach sitzt Baker lethargisch in einer Kneipe, verklappte in Windeseile fünf Gin Tonic, beklagt das Desinteresse des amerikanischen Jazzpublikums, um kurz darauf zusammengesunken in eine Art Dämmerzustand zu verfallen.
Vier Monate später war Chet Baker wieder in Hannover. Diesmal umgeben vom NDR-Sinfonieorchester und der NDR-Bigband. Und diesmal zeigte sich der Meister des lyrischen Understatements in guter Verfassung – seine zu Herzen gehende Gesangsversion von „My Funny Valentine“ ist dem Autor noch immer in guter Erinnerung. Zwei Wochen später war Chet Baker tot – er starb nach einem Sturz aus einem Hotelzimmer in Amsterdam. Das traurige Ende einer von Drogenproblemen bestimmen Karriere eines der eindrucksvollsten Stimmen des modernen Jazz.
Es gibt nur wenige Jazzmusiker, um deren Person sich ein solcher Mythos rankt, wie Chet Baker. Seit seinen Anfängen im Gerry Mulligan Quartett 1952, die ihn als einen der Heroen der Cool Jazz etablierten, sah sich Baker mit hohen Erwatungshaltungen konfrontiert. Eine Bürde, an der er immer wieder scheiterte. Bereits mit 23 Jahren feierte ihn die Jazzkritik als die „große weiße Hoffnung“; als blasses Pendant zu Miles Davis, dessen vibratolosen, lyrischen Stil er bedingungslos verinnerlicht hatte. Doch immer wieder musste er schale Kompromisse eingehen und wurde aufgrund seines Aussehens, seiner coolen, verletzlichern Attitüde zu einer Art James Dean der Jazzmusik aufgebaut.
Hinzu kam ein Drogenproblem, dass er mit vielen seiner jazzenden Zeitgenossen teilte. Aus dem smarten Chet Baker, der nun auch als Sänger in Erscheinung trat, wurde eine gespaltene Persönlichkeit. Was der Mythenbildung einigen Anschub gab und an dessen Widersprüchlichkeit sich die Jazz-Öffentlichkeit immer wieder weidete. Wie konnte ein so gut aussehender junge Mensch in diese Abgründe geraten und dabei noch diese wundervollen, tiefgehenden Liebesballaden singen?
Im Leben eines jeden Menschen gibt es Höhen und Tiefen. Bei Chet Baker aber waren die Ausschläge besonders extrem. Hatte er mal wieder Boden unter den Füßen gefasst, so war klar, dass er hiernach umso tiefer fiel. Nur ein Beispiel von vielen: Als ihm Drogendealer aufgrund säumiger Zahlungen sein komplettes Gebiss ausschlugen, galt seine Karriere als beendet. Doch mit enormen Willen meisterte Baker diesen Nackenschlag, lernte mit seinem Manko umzugehen und entwickelte ein neuen Ansatz, die Trompete mit verminderten Kraftaufwand zu spielen. In Europa, wo er die letzten 30 Jahre seiner Karriere wohnte, gelang ihm in den Siebzigern ein Comeback, dem noch einige folgen sollten. Doch immer unterbrach seine Drogensucht aufkommende Höhenflüge.
Bis zu seinem Tod aber hatte er eine große Fangemeinde, die seinen Balanceakt zwischen der fragilen Schönheit seines Tromptentons und seines Gesangs und seiner mitunter apathischen Persönlichkeit immer wieder in den Bann zog. Eine Faszination, die in Bruce Webers Dokumentarfilm „Let’s Get Lost“ eindrucksvoll eingefangen ist. Für Chet Bakers Leben interessiert sich nun auch Hollywood: Mit Tennie-Idol Leonardo Di Caprio ist eine Verfilmung seiner Biografie geplant. Was dann wiederum ein neues Interesse an seinen alten Einspielungen wecken dürfte, von denen die CDs „Chet Baker Sings“ und „Playboys“ zu seinen stärksten zählen.
Bio
Am 23.Dezember 1929 wird Chesney Henry, der sich später Chet Baker nennen wird, in Yale, Oklahoma geboren. Nach Musik-Studium und Wehrdienst spielt Baker 1952 kurze Zeit mit Charlie Parker und schließt sich für ein Jahr dem Gerry Mulligan Quartet an, mit dem er in der Carnegie Hall große Erfolge hat. Nachdem Mulligan aufgrund von Drogenproblemen außer Gefecht gesetzt ist, gründet Baker sein eigenes Quartett, dass drei Jahre besteht. Neben ambitionierten Aufnahmen für das Pacific Jazz Label erliegt er immer wieder der Versuchung kommerzielle Orchesteraufnahmen mit ihm als Sänger einzuspielen. Gegen Ende der 50er Jahre ist seine Karriere aufgrund seines Heroinkonsums lahm gelegt. Immer wieder versucht er ein Comeback, bis es ihn schließlich nach Europa zieht, wo er die letzten 30 Jahre seines Lebens verbringt. Bis zu seinem Tod am 13.Mai 1988 spielt Baker viele, meist ausverkaufte Konzerte, die aber nur noch selten seine einzigartige Phrasierung und lyrische Meisterschaft einfangen.