Francisco Mora Catlett: World Trade Music
(Planet E/EFA)
In dem enormen Auswurf an Jazz-Neuheiten gehen oft Perlen verschütt, die eine größere Aufmerksamkeit verdient hätten. Wie etwa die faszinierende CD des Ex-Sun-Ra-Perkussionisten und durch seine Mitwirkung bei Carl Craigs Tech-Jazz-Projekt „Programmed“ bekanntgewordenen Francisco Mora, die selbst in der Fachpresse weitestgehend ignoriert wurde. Ein ungeheurer Frevel. Denn Moras spirituelle, meist sich am traditionellen Piano-Trio-Gerüst (Craig Taborn: Piano; Forest Whitaker, Bass) orientierenden Soundvisionen sind in ihrer Konsequenz einzigartig. Zwischen neu aufbearbeiteten Yoruba-Traditionals, Coltrane-Geistesverwandtschaft und modalen Soundtexturen geht die Reise durch Klanglandschaften von bizarrer Schönheit. Eine CD für alle Pharaoh Sanders-, Sun Ra-, Black Jazz- und Strata-East-Fans.
Russell Gunn: SmokinGunn
(High Note/Sunny Moon)
Rauchende Colts. Von dem Titel der neuen CD des Trompeters Russell Gunn, bekannt geworden mit Branford Marsalis Jazz-Hop-Projekt Buckshot Le Fonque, sollte sich niemand irritieren lassen. Denn seine neueste Einspielung ist verhältnismäßig friedvoll ausgefallen. Vor allem, wenn man zum Vergleich die Drum’n’Bass-Jazz-auf-der-Überholspur-Aufnahme von vor zwei Jahren heranzieht. „SmokinGunn“ beackert auf recht vitale Art das Feld des Neo-Bop, ausschließlich akustisch instrumentiert und relativ innovationsfeindlich. Dennoch: auf allerhöchstem Niveau gespielt und für alle Anhänger der Hannibal-Peterson-Powerplay-Schule ein „Must Have“.
Sun Ra: The Great Lost Sun Ra Albums
(Evidence/ZYX)
Wieviele LPs Sun Ra tatsächlich eingespielt hat, wissen wohl nicht mal seine Nachlassverwalter. Seitdem der Space-Jazz-Übervater, der nach eigenen Angaben vom Planeten Saturn stammt, 1991 das Zeitliche gesegnet hat, ist eine wahre Sun Ra-Epedimie ausgebrochen. Die Techno- (wegen der Synthie-Sounds), die TripHop- (wegen des Vibes), und auch die Avant-Punk-Fraktion (wegen der garagigen Sound-Ästethik) berufen sich immer wieder auf den Kosmo-Jazzer. Dazu passend sind in Zusammenarbeit mit Sun Ras Manager Alton Abrahams für das Evidence Label viele der meist nur in Kleinstauflagen bei Konzerten verkauften LPs des Meisters neu auf den Markt erschienen. Nach der legendären Singles-Doppel-CD (u.a. mit den schrillen Doo-Wop-Sängern The Cosmic Rays) nun ein weiterer Klopfer: zwei Alben, die für das Impulse-Label vorgesehen waren, dort aber wegen auslaufender Kontrakte nie erscheinen sind und sich durchaus mit Meisterwerken aus der 60er-Ära wie „Astro Back“ oder „Atlantis“ messen können. „Cymbals“ wie auch „Crystal Spears“ faszinieren noch heute durch diese etwas krude Mischung aus flirrenden Space-Sounds, klappernder Afro-Percussion, Blues-Patterns und frei schwebenden Jazz-Chorussen. HiFi-Fans bekommen dabei natürlich das Grausen, aber das ist auch so beabsichtigt. Der Sound ist wirklich nicht von dieser Welt, aber macht im Kontext der Instrumentalstimmen Sinn. Und wer glaubt, der Schlagzeuger hinke dem Timing doch ein wenig hinterher, muss immer daran denken, dass die Zeit- und Raumvorstellung auf dem Saturn einfach eine andere ist. Wer das herausgefunden hat, wird diese „Lost Sun Ra Albums“ lieben.
Granelli: Music Has It’s Way With Me
(Traumton/Indigo)
Alles Granelli, oder was? Von wegen. Der ein wenig ergraute Schlagzeug-Veteran hat den HipHop entdeckt. Ein wenig spät? Durchaus. Aber dabei ist dem eher zwischen Folk und elaborierten Jazz-Codes pendelnden Filigranklöppler ein kleiner Meisterstreich gelungen. Denn Jazz und HipHop galten trotz aller Fusionsversuche bislang als disperate Blöcke. Bislang war Jazz immer eine nette Futter-Beigabe zu fetten Beats. Eine tiefergehende Fusion beider Stile kam nur selten zustande. Umso erstaunlicher, dass erst ein 70-Jähriger Greis auftauchen musste, um den Genre einen entscheidenden Kick zu geben. So ist DJ Stinkin’Ritch als integrativer Improvisationspartner akzeptiert, die anderen drei Musiker weben aus den alten Strickmuster immer neue, verwegenere Kombinationen. Dabei gerät der Hörer oft ins Rätseln: Sind Granellis Drums nun live gespielt oder doch gesampelt? Letztendlich aber ist es einerlei: Der Weg ist das Ziel und der Jazz-HipHop der Fünf druckvoll und voller Überraschungen, inklusive Granellis kauzig vorgetragene Kurzgeschichten, die mehr an Poetry als an Rap erinnern.
Arturo Sandoval/Chick Corea/Poncho Sanchez/Pete Escovedo: Jam Miami – A Celebration Of Latin Jazz
(Concord/Edel contraire)
Was will der Latin-Jazz-Fan mehr: bei diesem Live-Mitschnitt aus Miami treffen die Superstars des Genres wie Chick Corea, Poncho Sanchez oder Pete Escovedo aufeinander und lassen dabei so gut wie keinen Klassiker des Latin-Jazz aus: von „Night In Tunesia“ bis „Oye Como Va“. Alles, was Latin-Jazz so attraktiv macht, ist hier Selbstverständlichkeit: hitziger Percussongefechte, in höchsten Lagen schmetternde Bläsersätze und inbrünstig rezitierende Chorgesänge.
Abbey Lincoln: Over The Years
(Verve/Universal)
Abbey Lincolns neues Album durchzieht eine melancholische Grundstimmung: von der Country-Jazz-Ballade „Blackberry Blossoms“ über den Michel-Legrand-Klassiker „Windmills Of Your Mind“ bis zum in spanisch gesungenen Song „Somos Novos“ (Wir sind Liebende). Ihr angestammtes Begleittrio (Brandon McCune, Piano; John Ormond, Bass; Jaz Sawyer, Schlagzeug) hält sich eher zurück. Und auch Gaststars wie Tenorsaxofonist Joe Lovano oder Trompeter Jerry Gonzales protzen nicht etwa mit aufgeblasenen Chorus-Höchstleistungen, sondern stellen ihre Kunst ganz in den vorgegebenen Rahmen.“Over The Years“ ist ein beeindruckendes Alters-Statement einer außergewöhnlichen Künstlerin mit Musik von fragiler Schönheit.
Rezensionen von Tiga Schwope