Einzigartig: Das neue „Orchestrion“-Projekt des Jazzgitarristen Pat Metheny
Eine Pat-Metheny-CD aufzulegen, bedeutet sich zu entspannen. Der verhaltene, leicht hallige Gitarrenton, die schönen Melodien, dieses Gefühl von Weite, Natürlichkeit und Vollkommenheit: so schön, so eingängig kann Jazz klingen. Wohlfühl-Jazz, den man getrost auflegen darf, wenn Gäste zum Essen kommen.
Doch der erfolgsverwöhnte amerikanische Stargitarrist (55) mit dem jungenhaften Aussehen kann auch anders. Alle Jubeljahre verlässt er sein aus Wohlklang und feinen Melodien gestrickten Kokon und lebt sein Bedürfnis nach wilden, ungefilterten Klängen aus. Die dunkle Seite des Pat Metheny: Seine 30-minütige Krachorgie „Zero Tolerance For Silence“ aus dem Jahre 1992 wirkte auf seine Fans wie eine Kampfansage. Und seine Zusammenarbeit mit Free-Jazz-Erfinder Ornette Coleman bei „Song X“ wiederum klang, als ob drei Bands unabhängig voneinander spielen würden.
Nun dürfen seine Popjazzliebhaber wieder fürchten, dass der 55-Jährige vom rechten Pfad des Kuscheljazzsounds abgekommen ist. Denn Metheny hat sich an ein sonderbares Projekt gewagt. Er hat ein Album ohne Begleitmusiker, aber mit einem Orchestrion eingespielt? Ein was? Orchestrion heißt, ein von ein paar Tüftlern im Schwarzwald und Sachsen im vorletzten Jahrhundert entwickeltes mechanisches Musikinstrument – ein monströser Klangapparat, der den Sound eines ganzen Orchesters wiedergeben konnte. Und der vorwiegend in Hotelhallen per Kurbelbetrieb in Gang gesetzt wurde. Die Erfindung der Schallplatte war dann des Orchestrions rascher Tod.
Früher waren es Lochkarten, heute sind es Computer, die das Orchestrion mit seinen über 25 mechanischen Instrumenten (darunter Orgel, Bläser, Percussion) die Musik vorgeben. Von der E-Gitarre aus steuert Metheny Software und mehrere Computer, die wiederum befehligen ein paar Roboter, die dann die Instrumente so bedienen, wie Metheny es will. Das klingt gigantomanisch, geradezu größenwahnsinnig. Pat Metheny – ein Avatar des Jazz? Einer, der nur noch eine künstlichen Klangkörper steuert und seine Persönlichkeit hinten an stellt?
Doch Metheny gelingt ein kleines Kunststück: Die Musik auf „Orchestrion“ klingt nicht berechnend, nicht kalt, sondern warm. Oftmals auch nur lauwarm. Aber immer nach Pat Metheny. Sehr eingängig, sehr offen und mit diesem Gefühl von Weite und Natürlichkeit. Tatsächlich: auch „Orchestrion“ ist eine Metheny-CD, die man auflegen kann, wenn Gäste zum Essen kommen.
Bernd Schwope