Der „Picasso des Jazz“ Miles Davis zum 10. Todestag

Miles Davis wurde als Sohn eines Kieferchirurgen am 26. Mai 1926 geboren. Die Familie zog 1927 nach East St. Louis. Dort wuchs der junge Trompeter in die aktuelle Musikszene hinein. 1945 zog Miles nach New York und suchte Anschluss an die Bebop-Avantgarde in Harlem. Was für eine Gunst der Stunde! 1945/46 war Miles mit dabei, als die Scheibe „Birth of Bop“ eingespielt wurde, oder Anfang 1949 bei „Birth of the Cool“ und Oktober 1956 bei „Birth of the Third Stream“. Und was für eine Umtriebigkeit! Bis 1957/58 entwickelte Miles den Modalen Jazz.

Ab 1955/56 popularisierte er den Hard Bop. Bis zu dem Zeitpunkt hatte er seinen Personalstil ausgebildet: hübsche melodische Phrasen, die Magie der Pause in der Improvisation, den Einsatz jenes Dämpfers, „stemless harmon mute“ genannt und fortan mit dem zart zerbrechlichen Sound sein Markenzeichen. In den 60er Jahren der Free Jazz, in der Miles eigenen Weise eher als Free Bop gespielt. Seit 1965 die Integration von Elementen aus Funk und Soul-Musik. 1968/69 die Geburtsstunde des Jazzrock mit Miles als Protagonisten.

Seit 1970 schließlich Weltmusik mit afrikanischer Rhythmik, asiatischem Klangkolorit und aktuellem Motown-Sound. Peter Niklas Wilson spricht in seinem Miles-Davis-Buch von „stilistischen Häutungsprozessen“: langsam, aber stetig vollzogen, bis der „neue Miles“ da war. Mit immer neuen jungen Musikern übrigens, von ihm gefördert und heute Leitfiguren des Jazz. Die stilistische Vielfalt über Jahrzehnte veranlasste 1969 Duke Ellington, Miles als „Picasso des Jazz“ zu bezeichnen. Er erklärte ihn damit zur Zentralfigur des modernen Jazz – vergleichbar dem spanischen Maler Pablo Picasso mit seinen diversen Stilperioden und in seiner Bedeutung für die moderne Kunst des 20. Jahrhunderts.

Nach den stillen Jahren ab 1975 mit grottentiefer Midlife-Krise kam „The Man With The Horn“ wie Phönix aus der Asche wieder zurück! Nach dem Comeback 1981 rekombinierte er Stilelemente aus früheren Tagen, allen voran die gedämpfte Trompete, die herrlichen Groove-Rituale und wunderschöne Melodien. So erlebte 1985 die Cindy Lauper-Schnulze „Time after Time“ ihr blaues Wunder! 1982 begann Miles das Zeichnen und Malen. Auch hier mischte er ästhetisch geschmackvoll diverse Stilelemente: die Surrrealisten, afrikanische Motive und Formen und vieles mehr, was er um sich herum wahrnahm.

September 1991 fiel Miles Davis nach einem Schlaganfall ins Koma. Am 28 September ließ die Familie, dem ärztlichen Rat folgend, alle lebenserhaltenden Geräte abstellen. Die betörende Trompetenstimme verstummte. Tröstlich immerhin: Miles Davis lebt weiter! In der Zauberformel „Harmon Mute“, die im zeitgenössischen Jazz & Pop allgegenwärtig ist. In den Groove-Ritualen seiner ehemaligen Mitspieler. In unzähligen Hörstunden am CD-Spieler. Und natürlich in den Herzen seiner Fans. Am 28. September jährt sich zum 10. mal der Todestag. Also denn. Ein Fläschchen Champagner geöffnet auf den „Picasso des Jazz“! Schön, dass es ihn gab. Gott hab ihn selig.

Dieter Wackerbarth

Medien-Empfehlungen

Buch
Peter Niklas Wilson: Miles Davis. Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten. Collection Jazz. OREOS-Verlag 2001. Mit 117 Seiten Diskografie!

Miles Davis-CDs
• Round About Midnight 1955/56. Mit dem sog. ersten großen Quintett (John Coltrane & Co).
• Kind of Blue. Frühjahr 1959. CBS CK 64935.
• E.S.P. Januar 1965. Mit dem sog. zweiten großen Quintett (Wayne Shorter & Co).
• In A Silent Way. Februar 1969. Der “elektrische Miles”.
• The Man With The Horn. Februar-April 1981. Das Comeback!
• Decoy. Juli 1983. Funk Jazz.
• doo-bop. Januar/Februar 1991. Begegnung mit Rap & Hip-Hop.

Video
Miles davis auf dem Pariser Jazzfestival, 3. 11. 1989. In Septett-besetzung mit Kenny Garret u. a.. Zweitausendeins-Verlag. Bestell- Nr. 73074 Video, 73148 DVD.