Im Interview: Hannovers Swing-Star Juliano Rossi
Da staunten nicht wenige, als vermeldet wurde, dass der hannoversche Swing-Interpret Juliano Rossi bei dem weltweit renommierten Jazz-Label Blue Note einen Vertrag unterschrieben hat. Vor ihm ist diese Ehre erst zwei deutschen Künstlern zuteil geworden. Oliver Perau, so der bürgerliche Name des Sängers, ist in den 80er Jahren bekannt geworden mit der Rockband Terry Hoax, galt zudem in früher Jugend als hoffnungsvolles Fußballtalent …
JazzScene: Olli, die Standardfrage zu Beginn: Seit wann gibt es Juliano Rossi?
Oliver Perau: Seit 1996. Kurz vor der Trennung von Terry Hoax habe ich mein erstes Konzert als Juliano Rossi gegeben. Das Konzert fand statt auf einer Vernissage von Fotograf Olaf Heine statt. Er hatte mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, zu singen, Chansons oder ähnlich Stimungsvolles. Ich sagte ihm, dass ich Swingklassiker singen könnte. Also habe ich das, getan. Schon damals zusammen mit Lutz Krajenski sowie Michi Verhovec, Stephan Abel und Olaf Casimir.
JazzScene: Aber nicht in der Absicht, dieses Projekt als neue musikalische Heimat weiterzuführen?
Perau: Nein, dass darauf möglicherweise eine Karriere fußt oder zumindest meine musikalische Zukunft, war überhaupt kein Thema.
JazzScene: Swing und Rock der Marke Terry Hoax liegen ja musikalisch gesehen auch nicht gerade dicht beieinander.
Perau: Zunächst gab es ja nur diesen einen Auftritt, und da ging schlicht und ergreifend darum, mit möglichst wenig Aufwand ein Programm auf die Beine zu stellen. Da fielen mir eben Swingklassiker ein, weil ich diese Musik seit frühester Kindheit gerne gehört habe und ich entsprechend die Lieder auswendig konnte. Ich habe allerdings schnell gemerkt, dass es eine Sache ist, diese Lieder mitzusingen, eine ganz andere aber, sie alleine zu singen.
JazzScene: Was Dich aber nicht geschreckt hat, weiter an dem Thema zu arbeiten.
Perau: Überhaupt nicht. Es folgten bald weitere Auftritte, zum Beispiel im Coltrane, dem damaligen Club am Kröpcke, und das GOP engagierte mich für sein Herbstprogramm. Allerdings bin ich dann wieder von dem Thema abgekommen, weil mir niemand glaubte, damit meinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Swing war zu der Zeit außerhalb dessen, was Leute hip fanden. Also habe ich mich zunächst anderen Projekten gewidmet.
JazzScene: Wann wurde es dann richtig ernst mit Juliano Rossi?
Perau: 2001. Da fragten mich die Betreiber des Acanto, ob ich nicht Lust hätte, alle zwei Monate dort zu spielen. Und gleich das erste Konzert war rappelvoll. Und auch das zweite war rappelvoll. Und das dritte auch. Ich überlegte also, all die anderen Sachen, die ich zwischenzeitlich gemacht hatte, sein zu lassen und mich ganz auf das Thema Swing zu konzentrieren. Die Zeit hatte sich geändert, Robbie Williams beispielsweise brachte sein Swing-Album heraus, das Thema kam an und die Leute erinnerten sich an Juliano Rossi und meine Konzerte 1996..
JazzScene: Dass dann Roger Cicero den Swing für sich entdeckte und erfolgsmäßig an Dir vorbeigezogen ist, hat Dich nicht gewurmt?
Perau: Nein, kein bisschen. Ich hätte natürlich auch gerne 600.000 verkaufte CDs vom ersten Album. Das ist schon gigantisch, was da passiert ist. Aber ich bin nicht neidisch auf Roger! Ich komme da einfach aus einer anderen Ecke. Alle meine Projekte habe ich selbst initiiert, sie kamen von mir. Ich glaube, ich hätte ein großes Problem damit gehabt, wenn mir alles vorgegeben worden wäre und ich nur noch Interpret gewesen wäre. Soweit ich das aus der Ferne beurteilen kann, ist Roger da der richtige Mann.
JazzScene: Wie wichtig war es denn, einen Künstlernamen, in dem Fall Juliano Rossi, zu wählen und nicht unter Deinem eigentlichen Namen aufzutreten?
Perau: Das mit dem Künstlernamen war eine ziemlich spontane Geschichte. Für das erste Konzert auf der Vernissage hatte ich extra ein Foto machen lassen und mich dafür entsprechend in Schale geworfen. Daraufhin fragte eine Journalistin, ob ich mir denn nicht auch einen entsprechenden Künstlernamen zulegen wollte, irgendwas Las Vegas-Mäßiges. Ich sagte: „Gib mir eine halbe Stunde“.
JazzScene: Es ging also nicht darum, die alten Rockfans aus dem Terry Hoax-Lager nicht zu verprellen?
Perau: Überhaupt nicht. Es ging wirklich nur darum, für diesen einen Abend einen abgefahrenen Namen zu finden. Ich sah das halt so als Spaßaktion. Wenn ich damals gewusst hätte, dass mich dieser Name so lange begleitet, hätte ich vielleicht etwas länger drüber nachgedacht (lacht).
JazzScene: Wenn Du jetzt wieder mit Terry Hoax auftrittst, verübeln Dir das weder die Hoax-Fans noch die Rossi-Fans?
Perau: Das tut niemand. Die Zeiten sind wesentlich toleranter geworden. Heute sind Leute neugierig auf andere Sachen. Als Terry Hoax 1996 auseinander gingen, war das anders. Da bedeutete Musikgeschmack in der Regel, Sachen scheiße zu finden. Im HipHop wurde nach Kräften gedisst, im Rockbereich gab es klare „Regeln“ dessen, was erlaubt war und was nicht. Das hat mit zu meinem Ausstieg bei Terry Hoax geführt. Ich wollte das enge musikalische Korsett ausziehen, wollte andere Sachen ausprobieren. Heute sehen die Jungs das wesentlich entspannter und wir haben als Terry Hoax eine Menge Spaß.
JazzScene: Wie ist der Kontakt zu Blue Note zustande gekommen?
Perau: Ganz normal per Post. Ich habe mein fertig prodiziertes Album hingeschickt, das heißt zur Blue Note-Mutter EMI. Die waren begeistert von dem Werk und haben mich nach Köln eingeladen. Es gab noch eine weitere, etwas größere Company sowie ein kleines Jazzlabel, die Interesse an dem Album hatten. Entsprechend habe ich bei der EMI mit offenen Karten gespielt und gesagt, dass ich in der glücklichen Situation bin, weitere Angebote zu haben. Das hat die Verantwortlichen dort möglicherweise bewogen, etwas zielstrebiger an die Sache heranzugehen. Es hieß, sie würden überlegen, das Album auf Blue Note zu veröffentlichen, müssten das aber in den USA absegnen lassen. Drei Wochen später kam dann die Zusage.
JazzScene: Der Ritterschlag für jeden Jazzmusiker …
Perau: Ja! Ich habe auch sofort bei Blue Note unterschrieben.
JazzScene: Wie lange hast Du an dem Album gearbeitet?
Perau: Sehr lange. Ich hatte das Album schon vor anderthalb Jahren fertig, allerdings in einer sehr puristischen Version, vergleichbar mit dem ersten Album. Eigentlich wollte ich es auch in dieser Version veröffentlichen, es gab da auch schon Kontakte zu einem Label. Dann aber habe ich mir das Album noch mal in Ruhe angehört und dachte, das kann es noch nicht sein. Meine Idee war es schließlich, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die aus einer ganz anderen musikalischen Richtung kommen, um mich von der Swingwelle und ihren Protagonisten abzusetzen. In mir steckt einfach das Verlangen, nicht im Strom mitschwimmen zu wollen, sondern etwas Besonderes zu machen. Auf diesem Weg habe ich dann Mitstreiter aus der HipHop und Elektro-Szene gefunden, mit denen ein Jahr lang an der jetzigen Version des Album gearbeitet habe. Ich habe für mich einfach nach einer Legitimation gesucht, noch ein Swingalbum zu machen. Es sollte eines werden, das sich für mich gut anfühlt, und das nicht auf etwas Bestehendes aufsattelt. Es sollte nicht den traditionellen Sound haben. Und das hat gedauert. Aber die Geduld hat sich gelohnt, weil ich dadurch interessant wurde für Major Companies bzw. für Blue Note.
JazzScene: Was für eine gewisse Qualität birgt, da Du ja beileibe nicht der einzige Künstler bist, der mit dem Thema Swing bei den Plattenfirmen anklopft. Kennst Du Kollegen, die sich in der Richtung versuchen?
Perau: Klar. Was mich bei den Plattenfirmen offensichtlich interessant gemacht hat, ist meine Eigenständigkeit. Von den zwölf Songs des Albums habe ich elf selbst geschrieben.
JazzScene: Die aber ziemlich „klassisch“ klingen.
Perau: Ja, die vermitteln zunächst einmal das Gefühl, es seien alte Klassiker, die modern aufgearbeitet wurden. Es ist mir passiert, dass mich Musiker, mit denen ich zusammengearbeitet habe, fragten, wo ich denn all diese Standards her hätte, die würden sie gar nicht kennen.
JazzScene: Wie ist denn die Reaktionen von Kollegen und von Kritikern auf das Album?
Perau: Ganz gut. Ich hatte ja damit gerechnet, dass das Album polarisiert. Aber bislang gab es keine schlechte Kritik. Unfassbar! Manche Leute überschlagen sich förmlich vor Lob.
JazzScene: Wie sehr hat das mit Deiner neuen Heimat Blue Note zu tun?
Perau: Es macht natürlich schon einen Unterschied, ob du auf einem kleinen Label wie Roof, bei dem ich vorher war, oder einem Schwergewicht wie Blue Note veröffentlichst. Die Leute von Roof waren sehr umtriebig, haben viel gemacht, waren super. Dennoch nehmen dich Kritiker anders war, wenn du bei Blue Note unter Vertrag bist. Ich habe nun sehr viel mehr Möglichkeiten, bin interessanter geworden für Clubs, für Konzertagenturen etc.
JazzScene: Das heißt, eine Tournee auf die Beine zu stellen, ist nun keine große Herausforderung mehr.
Perau: So ist es. Ich gehe ab September auf Tournee. Die größere Schwierigkeit war es, mich für eine Konzertagentur zu entscheiden, es gab zwei Angebote, eines aus Hamburg, eines aus Hannover. Ich habe mich schließlich für Hannover entschiedent. Meine Plattenfirma ist in Köln, mein Management in Overath, der Verlag in Berlin, da wollte ich wenigstens einen Ansprechpartner haben, mit dem ich mal eben einen Kaffee trinken kann.
JazzScene: In welcher Besetzung geht es auf Tour? Im Quartett?
Perau: Ja, mit Lutz Krajenski und Co. Lutz gehört einfach dazu, ohne ihn gäbe es Juliano Rossi im Grunde nicht. Da aber Lutz im Oktober mit Roger Cicero auf Tournee geht, starte ich schon im September, damit er beides unter einen Hut bekommt. Ich hätte mir natürlich auch eine andere Band für die Tour zusammensuchen können, ich verfüge über einen Pool von elf, zwölf Musikern, die meine Sachen kennen. Mit der Originalband aber ist es schöner.
JazzScene: Welche Rolle spielt Lutz bei dem ganzen Konzept?
Perau: Eine sehr wichtige Rolle. Er ist mein Songwrting-Partner. Bei mir entstehen Songs relativ unkonventionell, weil ich selbst kein Instrument spiele. Ich mache einen Text und eine Melodie dazu und gebe auch ungefähr die Richtung vor, in die ein Song gehen soll. Mit Lutz zusammen suche ich dann die Akkorde, die vorher nur in meinem Kopf sind. Den musikalischen Feinschliff übernimmt dann Lutz. Auf die Art und Weise haben wir auch das aktuelle Album in der damaligen puristischen Weise erstellt. Dann kam Roger Ciceros Karriere so richtig ins Rollen, so dass Lutz nicht mehr verfügbar war. Den Weg von der Urfassung zum jetzigen Produkt bin ich alleine gegangen.
JazzScene: Gibt es schon internationale Reaktionen auf das Album?
Perau: Noch nicht. Ich dränge schon drauf, dass da was passiert. Vielleicht aber will ich da auch den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Die Plattenfirma bremst mich jedenfalls aus, sagt, lass uns das erstmal hier in Deutschland machen. Es ist ja auch kein Album, dass nun zwangsläufig veröffentlicht werden muss, das macht auch nächstes Jahr noch Sinn. Dennoch hätte ich schon Lust, England oder auch Amerika mal anzufühlen.
JazzScene: Hast Du daran geglaubt, dass Du noch mal so durchstarten könntest wie im Moment?
Perau: Ich habe immer gewusst, dass es im Grunde nur an mir liegt, dass ich es selbst in der Hand habe. Der Grund, warum es ein bisschen ruhiger um mich wurde, ist, dass ich mir das selbst so ausgesucht hatte. Ich war des live Spielens müde und desillusioniert von Major Companies. Die arbeitet nur noch nach der Methode: Alles auf eine Karte setzen und wenn es nicht sofort funktioniert, werden Künstler fallen gelassen.
JazzScene: Du hast das selbst erlebt …
Perau: Ja. Ich bin aber ein Stehauf-Männchen und habe mich immer wieder gerappelt, mir aber irgendwann vorgenommen, auf kleinerer Flamme zu kochen. Das hat ja auch bestens funktioniert. Ich lebe sehr gut von Juliano Rossi. Ich habe mich gut etabliert mit dem Thema, komme so auf ca. 50 Konzerte im Jahr. Daher gab es auch keinen Grund, daran zu rütteln. Aber schließlich wuchs doch das Bedürfnis, das wieder mehr Menschen zu Gehör zu bringen. Und dafür ist die Hilfe einer Major Company doch sehr angenehm.
JazzScene: Leztes Jahr ist Deine alte Band Terry Hoax wieder zu neuem Leben erwacht. Wie leicht oder wie schwer fällt es Dir, zwei so unterschiedliche musikalische Haltungen zu vereinbaren? Heute Juliano Rossi, morgen Olli Perau?
Perau: Das ist gar nicht so schwer. Mir macht das nicht aus. Für mich ist beides Musik. Ich verändere ein bisschen meine Stimmfarbe, aber das ist wirklich nur ein ganz kleiner Schalter, den ich umlegen muss. Es ist im Grunde nur eine äußerliche Veränderung. Ich muss halt aufpassen, dass ich nicht die falsche Tasche mitnehmen. Obwohl, wäre vielleicht ganz lustig (lacht).
JazzScene: Spielst Du eigentlich noch Fußball? Du warst ja mal großes 96-Talent…
Perau: Ich habe bis zur A-Jugend in der Niedersachsenauswahl gespielt. Aber ich war nicht gerade der Lieblingsspieler von meinem letzten Trainer Hans Siemensmeyer: Ich hatte mir die Haare blond gefärbt, habe geraucht und konnte nicht wirklich gut grätschen … Heute spiele ich überhaupt nicht mehr. Zum einen mangelt es mir an Zeit, zum anderen habe ich auch einfach keine Lust mehr. Ich war die letzten Male, die ich gespielt habe, immer unzufrieden mit mir. Wenn man nur selten spielt, kann man natürlich auch nicht viel erwarten. Dennoch bin ich immer total schlecht gelaunt nach Hause gegangen, wenn mir wieder nichts so richtig gelungen ist. Ich bin zu ehrgeizig, um einfach „nur“ mal gegen den Ball zu treten. Wenn ich spiele, will ich auch gut spielen, will ich gewinnen! War schon gut, dass ich mich damals für Musik entschieden habe. Als Fußballer wäre meine Karriere längst vorbei, als Musiker stecke ich mitten drin.
Interview, Fotos: Jens-Christian Schulze