Juli 2000

Ronny Jordan: A Brighter Day
(Blue Note/EMI)

Der Titel seines neuen Albums meint Ronny Jordan sprichwörtlich: „Brighter“, sprich umfassender, breiter sollte es stilistisch werden. Weg vom Image des Acid-Jazz-Schönspielers, der zu HipHop-Beats alte Wes-Montgomery-Licks herunterbetet, hin zu einer universellen Groove-Aufassung: mit dieser Soundvorstellung ist Jordan nach langer Pause sein erstes Album für Blue Note angegangen. Keine schlechte Herangehensweise, zumal gerade die jazzigen, Latin-beeinflussten Jams beweisen, dass Ronny Jordan im Rennen um den Grant-Green-Gedächtnispreis die größte Ausdauer hat. Dennoch scheint bei „Brighter Day“ nicht immer die Sonne: die Jazz-goes-HipHop-Stücke bleiben trotz hochkrätiger Gaststars (Mos Def, DJ Spinna) eher lau und zwischen Bossa-Nova-Seeligkeit und smoothen Essig-Jazz-Preziosen schaltet Mr.Jordan zu oft in den Leerlauf. Das Gefühl, hier fühlt sich jemand dem Hipness-Diktat verpflichtet, obwohl er doch lieber ein anspruchsvolles Jazz-Album machen würde, wird der Rezensent auch nach dem zweiten Hören nicht los.

Grover Washington: Aria
(Sony Classical)

Es musste wohl so kommen. Sein besänftigender Ton, seine wattige Phrasierung: wer sonst als der Gottvater des Smooth Jazz hätte es geschaftt so schön die Arienmelodien der Herren Bizet, Puccini & Co. anzublasen? Unter dem Motto „Sax meets Opera“ hat Grover Washington nun mit mit dem Orchester of St. Luke’s und Jazzmitstreitern wie Ron Carter oder Billy Childs jazzige Interpretationen von Opernmelodien aufgenommen, nicht wissend, das es seine letzte CD werden sollte. Kurze Zeit nach den Aufnahmen starb Grover Washington überraschend in New York. Ein letztes Mal spielt Mr. Magic seine Trumpfkarte aus: sein einmaliger Saxofonton, der trotz der etwas plüschigen Arrangements transparent bleibt.

Julian Argülles: Escapade
(Provocateur /EFA)

Ein Album, dass alten Nörglern, im Jazz passiere ja eh nichts mehr, die Leviten liest. Hier brennt, mal flapsig formuliert, die Luft: der britische Saxofonist aus dem Umfeld von Colin Towns Mask Orchestra macht die Musik, die bestens zu einem Label namens Provocatuer passt. Will sagen: Argülles und seine kleine Bigband (mit u.a. Django Bates) wagen den Spagat zwischen gestrengen Arrangements, sperrigen Improvisationen und gelenkigen Sprüngen von U zu E-Musik, mal garniert mit funkigen Gitarrenlicks, mal gewürzt mit harschen Sax-Chorussen. Nichts für Langeweiler also, eher für Menschen, die das musikalische Abenteuer suchen. Darauf eine Camel ohne!

Monty Alexander: Meets Sly And Robbie
(telarc/inakustik)

Man wittert eines dieser von Plattenbossen mit Dollarblick ersonnenen Plattenkonzepte: Jamaikanischer Jazz-Pianist von Weltruhm trifft auf die Reggae-Rhythmussektion schlechterdings, dazu noch eine Songauswahl der CD, deren Zusatztitel auch „plays 12 Jazz-Funk-Hits“ lauten könnte. Doch was nach abgekarteter Marketingstrategie riecht, entwickelt einen ganz eigenen Zauber. Drummer Sly Dunbar und Bassist Robbie Shakespeare zaubern ihre ganz speziellen Reggae riddims aus dem Hut, die Klassikern wie „Chameleon“, „Mercy, Mercy Mercy“ oder „Soulful Strut“ einen unnachahmlichen Touch verleihen. Monty Alexander, seiner harmonischen Leichtigkeit wegen als Barpianist verschrien, baut auf diesem Groove-Fundament wunderschön ausgeschmückte Melodielinien. Eine CD, die viel Spaß macht und auf ihren Einsatz nicht nur in Reggae-Diskotheken wartet.

Omar Sosa: Bembon
(Skip/edel contraire)

Schon wieder Kuba? Nicht nur wer regelmäßig die Worldmusic-Ecke des CD-Dealer seines Vertrauens aufsucht, kann sich dem Buena-Vista-Overkill nicht entziehen. Dabei wird vergessen, dass es mehr gibt als zugegeben rührige Soneros im Rentenalter. Junge Musiker etwa wie der Pianist Omar Sosa, der in vorderster Front der Erneuerer kubanischer Musik steht. In seinem musikalischen Kosmos hat die Salsa-Tradition genauso ein Platz wie die harmonische Finesse der modernen Jazzer wie auch HipHop oder Pop. Auf „Bembon“ mischt Sosa unter Beteiligung einer Vielzahl ausgezeichneter Musiker diese Einflüsse munter durcheinander, ohne das sich Beliebigkeit einstellt. Ein musikalischer Strom, der jeden mitreißt, der sich in seinen Bann begibt.

Short Cuts

Ravi Coltrane: From The Round Box
(BMG)

Gut, dass Ravis Saxofonstil nur wenig Ähnlichkeiten mit dem seines Vaters hat und er seinen eigenen Weg geht. Schade nur, dass er – im Gegensatz zu seinem Vater – keine eigenen Visionen entwickelt. Seine etwas kopfigen Stilkunde des modernen Jazz bedient sich meist einer kühlen Klangsprache.

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Steve Swallow: Always Pack Your Uniform On Top
(ECM/Universal)

Der Lieblingsbassist von Carla Bley, der so spektakulär unspektakulär spielte, überrascht mit einem Live-Album im altehrwürdigen Ronnie Scott’s Club zu London, dass spektakulär unspektakulär ohne große Höhepunkte feinste Nuancen auslotet.

Alvin Youngblood Hart: Start With The Soul
(Hannibal/Indigo)

Blues kann so viel mehr sein als nur die stets gleichen Schemata in zwölf Takten. Herrn Youngblood bringt viel frisches Blut in den Blues: Funk, Country, Hendrix und natürlich Soul. Langweilig wird es bei ihm nie. Selbst für ausgewiesene Blues-Hasser eine echte Empfehlung.

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Andrew Hill: Dusk
(Plametto/EFA)

Eine der wichtigsten und innovativsten Stimmen des neuen Jazz meldet sich zurück, mit einer CD, die direkt an seine legendäre „Point OfDeparture“-Session für das Blue-Note-Label anknüpft. Perfekt ausbalancierte, delikate Gradwanderungen zwischen In- und Out-Spiel, Improvisation und Komposition. Meisterlich!

Marc Ribot: Muy Divertido
(eastwest)

Eine seiner Bands nannte Ribot „Rootless Cosmopolitans“ – entwurzelte Kosmopoliten. Den Hang zur feinen, mitunter sarkastischen Ironie hat sich der Gitarristen, der schon Tom Waits und Elvis Costello begleitete, stets bewahrt. Wenn er nun mit seinen Cubanos Postizios (gefälschte Kubaner) wiederholt Stücke des Komponisten Arsenio Rodriquez spielt, lässt sich erahnen, was dabei herauskommt: aberwitzige, immer ein wenig schräge, meist rockige Latin-Abstraktionen, die klingen, wie der junge Santana im Acid-Rausch auf Cuba-Reise.

James Carter: Chasin‘ The Gypsy/Layin‘ The Cut
(eastwest)

Typisch Carter: wenn der Saxofonist eine neue CD angeht, ist von auszugehen, dass ihr Konzept sich grundlegend von dem Vorgänger unterscheidet. Doch damit nicht genug. Nun bringt er auch noch zwei CDs gleichzeitig heraus, die unterscheidlicher nicht sein könnten: ein Free-Funk-Album und eine Hommage an den Zigeuner-Jazzer Django Rheinhardt. Erstaunlich: die interessante Platte ist die nuanciert arrangierte und atmosphärisch dichte Verbneigung an den belgischen Ausnahmegitarrist, die FreeFunk-Platte hingegen flüchtet sich in abgehangene Klischees – eine Jamsession, die nur selten spannende Momente offenbart.

Schmuse-Jazz-Ecke

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Walter Beasley: Won’t You Let Me Love You
(Shanachie/Koch)

Das Grauen hat einen Namen: Kenny G. Seitdem der Richard Claydermann des Saxofons Hausfrauen den Jazz-Genuss erleichterte und daraufhin Heerscharen frisch gefönter Musiker in Erwartung schnell verdienter Kohle instrumentalen Leichtsinn verbreiten, ist Jazz wieder radiokompatibel geworden. Zwar nur in Amerika, aber dafür sind die sogenannte Smooth Jazz-Radiosender dort auch echte Renner. Die schmusigen Chorusse lenken nicht vom Autofahren ab und animieren in den Werbepausen zum Kauf – je nach Geschlecht – von Aftershave light oder ultrasaugfähigen Monatsbinden. Auf CD gibt es keine Werbepausen.. Schade eigentlich, allein schon wegen der Abwechslung. Dafür raspeln Genre-Größen wie die Saxofonisten Walter Beasley oder Nelson Rangell nach dem gleichen Strickmuster (zwei drei Groove-Stücke, dann Balladen, ein Cover eines alten Soul-Stückes…) 60 Minuten Süßholz. Wer davon nicht Sodbrennen bekommt, hat eine guten Magen…->

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Boney James/ Rick Braun: Shake It Up
(Warner)

<-…Wie es aber auch anders geht, beweisen die beiden Branchengroßverdiener Rick Braun und Boney James. Nicht das ihr Smooth-Jazz gänzlich ohne Klischees auskommt, doch hier hebt das Geschehen ab und an mal ab, sorgen fettige Funk-Grooves auf Second-Line-Basis und pralle Harmonien für kontrollierte Vitaminzufuhr. Und: ihre Version des Horace-Silver-Klassikers „Song For My Father“ ist wirklich gelungen.

George Benson: Absolute Benson
(GRP/Universal)

Zwei Stücke hat Soft-Jazz-Altmeister Benson von der House-Hitfabrik Masters At Work auf Clubkompatibel trimmen lassen (der Latin-Kracher „El Barrio“ und Donny Hathaways Klassiker „The Ghetto“) – mit dem Rest füllt er eine CD, die auch nicht besser klingt als ihre mauen Vorgänger.

Bob Berg/Randy Brecker/Dennis Chambers/Joey deFrancesco: The JazzTimes
Superband
(Concord/Edel contraire)

Klar, da muss nicht mehr viel gesagt werden: in der Tat eine Superband. Die Stars haben alle ihren Solo-Spot, sind in bester Spielaune und bedienen alle, die treibenden Soul-Funk-Jazz mit viel Platz für Chorussgedonner lieben. Ihre Version der Eddie-Harris-Nummer „Freedom Jazz Dance“ ist sogar richtig spannend und eigenwillig geworden.

Marion Brown & Jazz Cussion: Echoes Of Blue
(Challenge/Sunny Moon)

Er war schon immer der sanfte Rebell des Free Jazz. Insofern muss es nicht überraschen, wenn Marion Brown ganz entspannt, den Focus auf die Melodie, Jazz-Standards in Samt und Seide wickelt, sparsam und punktgenau begleitet vom Göttinger Quartett Jazz Cussion.

HipHop-Ecke

Quasimoto: The Unseen
(Groove Attack)

Jurassic 5: Quality Control
(Motor/Universal)

BeBop und HipHop: Klingt irgendwie ähnlich, gell? War ja auch eine Zeit lang ziemlich hip die Querverbindung von Monk zu Gangstarr zu suchen, Blue Note zu diggen um Def Jam zu verstehen. Aber mal ehrlich: so richtig zusammen sind Jazz und Rap trotz US 3 und Jazzmatazz (neues Album kommt im September) nie gekommen. Im Grunde war Jazz für HipHop auch weniger Inspirations- als Samplequelle. Umso schöner, wenn jetzt Rapper wie Mos Def oder Jungstar Quasimoto dem Geist des Jazz beschwören (auch wenn es nur die Stücke füllende Nennung der großen Jazzer-Namen ist), aber doch sich unmissverständlich auf ihren Bezugsrahmen HipHop begrenzen, als wollen sie uns sagen:das hier ist der richtige Stoff und kein verwässerter Medienhype-Schmuh. Die Debüt-CD des kalifornische Rappers Quasimoto, dessen Cover auf Musiker wie Grant Green oder Sunny Murray verweist, ist denn auch kein leichter Stoff. Stücke wie „Jazz Cats“ oder „Astro Travellin“ verbinden Loft-Jazz-Image, Sample & Reimkultur mit dem Mut zum Experiment im eng gefassten Rahmen: HipHop zum hören. Der mit gefilterten Rare-Groove-Samples nur so gespickte HipHop der Jurrassic Five zielt hingegen auf ursprünglichere Bedürfnisse: Old-School-Flavour mit vier sich ins Wort fallenden Rappern und zwei wild scratchenden DJs,bei dem die Party so richtig losgeht.

Rezensionen von Tiga Schwope