März 2006

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Matthew Shipp: One
(Thirsty Ear/Rough Trade)

Matthew Shipp zählt sicherlich zu den aufregendsten Pianisten der letzten zehn Jahre. Wer ihn dabei voreilig in die Avantgarde-Ecke schiebt, tut ihm Unrecht – wie seine neue Solo-CD „One“ beweist. Shipp mag an der Seite von störrischen Freeform-Ikonen wie Dacvid S. Ware zwar gut die Rolle des Cecil-Taylor-Nachfolgers ausfüllen und mit großartigen FreeJazz-trifft-auf-HipHop-Projekten das Jazz-Establishment schocken – allein am Klavier aber fasziniert er mit einer Reinheit und Klarheit, bei der alle ihm zugedachten Schubladen automatisch zugehen. Shipp entwickelt seine Ideen behutsam, kommt auf den Punkt, kann aber auch an den Tasten explodieren . Einziges Manko : die Aufnahmequalität ist im Gegensatz zur künstlerischen Qualität alles andere als Weltklasse.

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Chick Corea: The Ultimate Adventure
(Concord/Universal)

Das janusköpfige Wesen Chick Corea zeigt sich von einer alten, neuen Seite. Mal elektrisch, dann wieder akustisch: gern springt Corea zwischen den Extremen. Seine neue CD, die vom Titel her ein ultimatives Abenteuer verspricht, dockt eher an die Frühphase von „Return To Forever“ an. Ein Indiz dafür ist Teilnahme von Percussionist Airto Moreira. Aber auch Größen wie Steve Gadd, Hubert Laws oder Hossam Ramzy signalisieren: diese CD könnte anders klingen als die oft vorausberechenbaren Alben Coreas der letzten Jahre. Besonders angenehm: Corea bevorzugt diesmal helle Klangfarben. Fender Rhodes, Flöte und Percussion geben den Ton an. Rhythmisch orientieren sich die Kompositionen Coreas an arabische und afrikanische Einflüsse, lassen aber unverkennbar Coreas Handschrift erkennen.

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Raul Midon: State Of Mind
(EMI)

Es würde nicht verwundern, wenn diesem jungen, noch unbekannten Sänger das gleiche Schicksal ereilt wie Norah Jones: als Jazz vermarktet, mit unverkennbaren Pop- und Soul-Roots. erfreut eine optimistisch gestimmte, grundehrliche Musik Millionen nach Harmonie strebender, CD-kaufwilliger Menschen. Doch so weit ist es noch nicht. Doch wer dieser CD sein Ohr schenkt, kann nicht anders als zustimmen: was für eine Stimme! Mideon erinnert ein wenig an Stevie Wonder und Donny Hathaway. Letzterem hat er einen Song gewidmet, ersterer macht gleich selber mit. „State Of Mind“ hat alles, was Erfolg verspricht: ein wenig Jazz, ein wenig Folk, viel Soul und Pop, überzeugende Songs und eine Stimme, die jeden Eisblock zum Schmelzen bringt. Die Erfolgstory kann beginnen.

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Diverse: Emergency Funk Radio
(ESC Rec)

Es gibt noch Hoffnung: für die darbende, auf ein Phonk-Revival hoffende Gemeinde der Groovaholiker, tut sich mit diesem Sampler eine Oase auf. Acts wie Soulive, Medeski, Martin & Wood, Lettuce oder Mother Funk Conspiracy lassen knallbunte Blüten treiben und forschen tief im Wurzelwerk des 70er-Jazz-Funks. Tief gelegte Bässe, kopulierende Bläser und leckere Soul-Geschmacksverstärker erinnern an die Zeit, als Funk-Dinosaurier wie Funkadelic, die JBs oder die Headhunters die Welt regierten.

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Paul Kuhn Big Band: My Private Collection
(In & Out/In-akustik)

Das Knautschgesicht der Nation hält wieder Hof. An seinem Lieblingskonzertort, der Kölner Philharmonie, aufgenommen, greift Paul Kuhn mit seiner Bigband mal wieder tief in die Mottenkiste des Swing und poliert die alten Schlachtrösser von „Pink Panther“ bis „The Lady Is A Tramp“ mit enormer Spielfreude auf. „My Private Collection“ hat alles, was eine gute Paul-Kuhn-CD braucht: zwingenden Swing, augenzwinkernden Humor und brillante Arrangements.

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Terje Rypdal: Vossabrygg
(ECM/Universal)

Wer „Vossabrygg“ sagt, muss auch „Bitches Brew“ sagen. Oder eben „Vossa Brew“, was sich zum einen auf eine norwegische Bierbrauerei bezieht, die jenes Festival 2003 sponsorte, auf dem diese CD live eingespielt wurde, zum andern natürlich auf Miles Davis Opus Magnum des elektrischen Jazz. Das Eröffnungsstück gibt auf achtzehneinhalb Minuten gleich die Richtung vor: Fender Rhodes mit Distortion und Wahwah-Effekten, verwegene Orgel-Akkorde mischen sich mit pumpenden Ostinato-Bässen und repetierenden Rock-Rhythmen. Und das mit klarer Rollenverteilung: Terje Rypdal gibt dem John McLaughglin, Bugge Wesseltoft den Joe Zawinul. Palle Mikkelborg den Miles und Stale Störlokken den Larry Young. Den Miles-Davis-Gedächtnispreis haben sie damit sicher in der Tasche. Da Miles aber immer nach vorne schaute, darf Terjes Sohn Marius Rypdal als Sample-Experte und Elektroniker den Bezug zu Trendmusikarten wie Electronica und Drum’n’Bass herstellen. Das klappt hervorragend. Wer „Khmer“ von Ex-ECMler Nils Petter Molvaer und Miles Davis „Complete Bitches Brew Sessions“ im CD-Schrank stehen hat, kommt an „Vossabrugg“ nicht vorbei.

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Jim Black & AlasNoAxis: Dogs Of Great Indifference
(Winter & Winter/Edel Contraire)

Es ist eine dieser Platten, die im Plattenregal so schwer einzuordnen sind. „File under“ steht bei einigen CDs sogar aufgedruckt, damit der potentielle Käufer auch garantiert das richtige Produkt kauft. Hier aber macht dies überhaupt keinen Sinn. Während man noch sinniert, ob die Musik eher zu Underground-Rock oder multiplem Noise-Jazz tendiert, ist die Band um Schlagzeuger Jim Black längst woanders. Damit aber kein Missverständniss aufkommt: AlasNoAxis haben einen sehr charakteristischen, eigenen wie plastischen Sound. Es ist Rock, ganz klar: schleppend, harsch, spartanisch instrumentiert mit Drums, Bass (Skulli Sverrisson), Gitarre (Hilmar Jensson) und Saxofon (Chris Speed). Aber die Soundskulpturen, die die Vier mit Bedacht zusammenkneten, orientieren sich eher am Jazz. Nennen wir es doch einfach neue Rockmusik. Irgendwie. Oder noch besser: gute Musik.

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David Murray 4Tet & Strings: Waltz Again
(Sunny Moon)

An einem Fleck stehen zu bleiben, muss für David Murray ein Greuel sein. Immer wieder neue Konstellationen, Projekte und Projektansätze: jedes Album des eh zu einem der meistdokumentiertesten Jazzmusiker der letzten 20 Jahre zählenden Saxofonisten unterscheidet sich außerordentlich vom Davorhergehnden. War es eben noch Afro-Funk, so ist es jetzt eine Quartett-Aufnahme mit Streicherensemble. Große Musik im großen Format: Murray schafft es mal wieder sein Hörer zu überrraschen. Selbst diejenigen, die ihn schon als überreizten, effektheischenden Choruskletterer in höchste Lagen abgeschrieben hatten. Murray spielt ausgesprochen ökonomisch, reduziert und einfühlsam im Verbund mit den geschmackvoll arrangierten Streichern. Sein Begleit-Trio um den kongenialen Pianisten Lafyette Gilchrist, Bassist Jaribu Shahid und Schlagzeuger Hamid Drake ist ein weiterer Baustein zum Gelingen dieses famos klingenden Projekts. Schaun’ ma mal, was nächstes Mal passiert…

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Claus Boesser-Ferrari feat. Marc Ribot: Wandertag
(Acoustic/Rough Trade)

Eine Wald-und Wiesenplatte ist nicht bei dem Treffen des Mannheimer Gitarristen Claus Boesser-Ferrari und seines amerikanischen Kollegen Marc Ribot entstanden – auch wenn das Cover dies assoziert. Auf ihrem „Wandertag“ streifen die beiden durch die Welten von Weill, Theatermusik, Jazz und sogar Pop (eine Cover-Version von Stings „Demolition Man“). Genussvoll erkunden die Beiden die Soundmöglichkeiten, die ein Duo aus Akustik- und E-Gitarre (Ribot) bieten kann. Da werden die Saiten perkussiv missbraucht, dann wieder zart gezupft, aber immer mit dem Bewusstsein, ein stimmiges Klangszenarium ohne Klischees zu schaffen. Spannend!

Rezensionen von Tiga Schwope