6.000 Besucher bei den Konzerten / 5.000 Bahnkilometer zwischendurch
Wohlbehalten und unbeschadet trafen Ende September 1999 die Mitglieder des Jugendjazzorchesters „Wind Machine“ wieder in ihren niedersächsischen Heimatorten ein. Eine anstrengende Tournee mit Konzerten in zwölf Städten Russlands zwischen Novosibirsk und Moskau lag hinter ihnen. Die Big Band unter Leitung von Prof. Bernhard Mergner verstand es, insgesamt 6000 Besucher mit swingender, grooviger und moderner Musik zu verzaubern.
„Wind Machine“ erlebte reihenweise Annehmlichkeiten. In Novosibirsk und in Niedersachsens Partnerregion Perm am Ural hatte das Orchester die Ehre, die Philharmonische Konzertsaison zu eröffnen. Weitere konzertante Höhepunkte bedeuteten die Gastspiele in den Philharmonien von Kemerovo, Tomsk und Omsk, im akademischen Theater Tscheljabinsk sowie im legendären Moskauer Haus der Komponisten. In Korkino bei Tscheljabinsk, in Tjumen, in Osa bei Perm und beim zweiten Konzert in Moskau dienten Arbeiter-Kulturhäuser und Jugend-Kulturzentren als Austragungsstätte.
Regelmäßig erklatschte das russische Publikum Zugaben und brachte „Standing Ovations“ dar. Vor, während und nach den Konzerten bestürmten Blumenmädchen, Autogrammjäger, Journalisten, Radiosender mit ihren Mikrofonen und Fernsehstationen mit ihren Kameras die Big Band. Es gab seitens der russischen Gastgeber exklusive folkloristische Vorführungen, Einladungen, „im nächsten Jahr doch bitte wieder“ zu kommen, und Bekenntnisse „Wir haben uns in Euch verliebt“.
Das Jazzorchester begeisterte mit einem lebendigen Mix aus „klassischen“ Werken der Swing-Epoche wie die durch die Count Basie Big Band bekannt gemachten Titel „Magic Flea“ und „Wind Machine“, aus Nummern des Ellington-Repertoires im modernen Gewand („Sophisticated Lady“, „It Don’t Mean A Thing…“, „Take The A-Train“), aus modernem Jazzorchester-Material, groovig von Thad Jones („Don’t Git Sassy“) und lyrisch von Bob Brookmeyer („Willow Weep For Me“) sowie aus eigenen Stücken des Dirigenten Bernhard Mergner („Nora à la Plage“, „Remember To Play With C“, „Para Rio Contigo“) und des Bandmitglieds Tenorsaxophonist Niels Klein („Locked Rooms“). Der von Wolfgang Schlüter geschriebene „Backstage Blues“ erwies sich als mit starkem Applaus versehenes Feature für den Vibraphonisten Michael Baumgartner. Vor allem in den Songs „I Wish You Love“ und „Come Fly With Me“ in attraktiven Peter Herbolzheimer-Arrangements begeisterten die beiden Vokalisten des Orchesters, Nina Rohlfs und Christoph „Ben“ Mischke.
Eine Jam Session mit russischen Musikern lief im Jazzclub „Helikon“ im sibirischen Novokuznetsk. Dort trafen die jungen Niedersachsen auch Obertonsänger aus dem Altai-Gebirge. In Novosibirsk spielte „Wind Machine“ gemeinsam mit der dortigen State Philharmonic Big Band unter Leitung von Vladimir Tolkachev.
Die Gastfreundschaft war mitunter überwältigend: Alle Gastgeber hielten die vor der Reise über weite Distanz getroffenen Verabredungen ein, bei manch später Ankunft oder Abreise von „Wind Machine“ gingen die Küchen auch nachts in Betrieb. Zum Essen gab es reichlich, auch die Vegetarier innerhalb der Gruppe wurden mit ihren Ernährungswünschen berücksichtigt. Die bespielten Säle in Philharmonien, Kulturzentren, Arbeiter-Kulturhäusern und Theatern waren groß und üppig ausgestattet. Die beiden Pianisten Elmar Braß und Andreas Steffen konnten auf jeder Bühne einen Konzertflügel vorfinden.
Die nächtlichen Transfers über insgesamt mehr als 5.000 Kilometer, meist im separaten Waggon in Zügen der Transsibirischen Eisenbahn, erwiesen sich für die musikalische Reisegruppe als kommunikativ und erholsam. Die Flüge mit der russischen Airline Transaero klappten pünktlich, zuverlässig und komfortabel. Auf der Hinreise machten die Jungjazzer „eine Nacht durch“; die Boeing 737 von Moskau nach Novosibirsk flog von 0.00 bis 7.00 Uhr jeweiliger Ortszeit.
Im ersten Abschnitt in Sibirien herrschten noch Sonnenschein und weitgehend sommerliche Temperaturen, bevor am Ural die Thermometer auf unter zehn Grad Celsius rutschten. Wegen unzumutbarer Unterbringungsverhältnisse in einem Heim ohne Heizung sagte das Orchester das geplante Konzert in Ekaterinburg ab. Hart waren die erlebten Kontraste zwischen ländlicher Einfachheit und mondänem Prunk in der Metropole Moskau.
Zu den schwer verdaulichen Eindrücken zählten auch eine nächliche Begegnung mit russischen Soldaten, die soeben den Einsatzbefehl für Tschetschenien erhalten hatten, eine Bombendrohung in einem der vom Orchester besuchten Theater sowie die Unsicherheit über die Sicherheitslage im Lande. Wegen der schwierigen Kommunikationsbedingungen war den Reisenden die Einschätzung der Situation hinsichtlich der Bombenattentate in russischen Städten erschwert.
Die Reise wurde finanziell ermöglicht durch das Land Niedersachsen (aus Mitteln für die Partnerschaft mit dem Permer Gebiet) und die Verbindungsstelle für Internationale Beziehungen beim Deutschen Musikrat. Als Repräsentant des Landesmusikrates stieß Geschäftsführer Manfred Sauga für den Aufenthalt in Perm und Moskau zu der Gruppe dazu und knüpfte vertiefte Kontakte mit der dortigen Kulturadministration.
Ohne die in Hannover engagierten Dolmetscherinnen Tatjana Bulava und Elena Alexandrova hätte die Reise nicht so erfolgreich und glatt durchgeführt werden können. Immer wieder setzten sie ihre sprachliche Flexibilität und ihr Verhandlungsgeschick zum Wohle der Gruppe ein.
Mit dabei war auch die zu Ostern eingespielte dritte CD des Jugendjazzorchesters „Wind Machine: Don’t Git Sassy“, um die sich die russischen Fans geradezu rissen, sind doch auf dem Tonträger die Stücke und die Besetzung der Russland-Tournee zu hören.
Nur wenige Tage nach der erfolgreichen Tournee spielte das 1989 gegründete Jugendjazzorchester sein offizielles 10-Jahre-Geburtstagskonzert im Pavillon Hannover, bei dem als „Zugabe“ bei zwei Titeln der großartige Saxophonist Charlie Mariano mitwirkte. Ebenfalls als Gäste traten hier wie auch zwei Tage später im Städtischen Museum Braunschweig die mittlerweile international renommierten Ex-Mitglieder Jürgen Friedrich (Klavier/Komposition) und Nils Wogram (Posaune/Komposition) bei der gemeinsamen Interpretation ihrer Werke „Voyage Out“ und „Rock 1“ dazu. Im November spielte „Wind Machine“ noch eine Reihe von Einzelkonzerten: zu Gast beim Kunstpott Lamstedt (bei Cuxhaven), im Forum Emden, im Kreishaus Goslar, im Gerhart-Hauptmann-Gymnasium Wernigerode, ein Doppelabend mit der NDR-Big Band im Kulturforum Wienebüttel (als Gast der Arbeitsgemeinschaft Lüneburger Jazzer) und zum Abschluss beim Drummer-Meeting Salzgitter gemeinsam mit dem Schlagzeuger Pete York.
jk
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