Jazz muss Ekstase auslösen, wenn es nach Arno Grußendorf und Jakob Seeber von Die Therapie geht. Zu oft gilt er als untanzbar, akademisch, elitär: Ihr Song „Renaissance“ spricht von einem „dunklen Zeitalter“. Also ersetzen der Gitarrist und der Schlagzeuger Scheuklappen durch Innovation. Jazz mit stampfenden Beats und düsteren Synthieklängen, die nach Untergrund- House riechen und ausgehungerte Feiersüchtige in die Bewegungslust treiben. Die Therapie will das Genre mit einem 1000-Volt-Stoß aus der Dunkelheit ins Licht der Tanzflächen peitschen. Dafür saugen Arno und Jakob 20 Jahre lang die unterschiedlichsten musikalischen Einflüsse wie Schwämme auf. Beide besitzen eine traditionelle Musikausbildung: Arno studiert in Amsterdam und Berlin, Jakob in Würzburg und Prag. Dort feilen sie unermüdlich an ihren Fähigkeiten, festigen aber vor allem ihre Prinzipien: Die verschulte Orthodoxie ist ihnen völlig zuwider. Jakobs Begeisterung für Musik beginnt im Teenager-Alter mit dem True School-Hip Hop der 90er, als Der Nussigmilde baut er sich über ein Jahrzehnt eine eigenständige Karriere als Rapper und Produzent auf. Dank Genre-Gurus wie Photek brennt er auch für Drum and Bass und House mittlerweile lichterloh. Arno, der einer zutiefst musikalischen Familie entstammt, landet über klassisches Klavier und Geige bei der Gitarre. Sofort ergriffen von ihrem Klang, jagt er jahrelang wie ein Besessener ihrer Meisterschaft hinterher. Er lernt bei Größen wie Kurt Rosenwinkel und stellt eine erfolgreiche Solo-Karriere auf die Beine. Doch von selbstgerechter Virtuosität will er am Ende nichts mehr wissen: Sein Instrument ist die Verlängerung seiner Emotionen, ein Geständnis mit sechs Saiten.
Was mit Bach und De la Soul begann, ist jetzt ein Amalgam aus Einflüssen: Eine Neugier und Grenzenlosigkeit, die sich der Londoner Szene um Tom Misch oder Yussef Dayes verbunden fühlt. Als Die Therapie mischen Arno und Jakob Straßendreck mit schwelgerischem Hedonismus. Peitschende Breakbeats treffen auf wabernde Synthie-Rhythmen, gleisende Gitarrenfiguren schwingen sich durch Songs wie „Level Up“ oder reißen verzerrte Löcher in die Melodien von „Flakes“. Rasend schnelle Soli verbinden sich mit den bedrohlichen Klängen düsterer Elektro- Clubs und lässigen Hip Hop-Beats. Der gewaltige, pompöse Sound dient einem einzigen Zweck: Das Publikum zu elektrisieren.
Bei Auftritten brechen sie daher bewusst mit Konventionen: Genre-Puristen werden schockiert sein, wie viel elektronisches Live-Equipment sich auf der Bühne tummelt. Gitarren und Schlagzeug sind durch Pads und Laptop ergänzt. Sprach- und Vinylsamples mischen die Songs auf. Ableton entweiht die Jazzbühne. Das Ganze ergänzen die beiden durch Innovation im Studio: „Wir arbeiten wie in der modernen Pop-Produktion als Sänger-und Produzenten-Duo“, erklärt es Arno. „Zum Beispiel kommt Jakob mit einem Beat vorbei und ich schmücke es melodisch aus.“ Viele Songs entstehen aus einer rhythmischen Idee und bewahren sich so eine rohe Tanzbarkeit.
Denn wenn es in „Renaissance“ heißt „Ich lernte Jazz beim Tanzen. Es ist Zeit für eine Renaissance!“, ist das Programm: Die Therapie entsorgt das Klischee einer Musikrichtung für die Eingeweihten. Sexy, cool und düster sollen die Songs ihre Bewegungsenergie an das Publikum weitergeben. Und das dunkle Zeitalter des Jazz beenden. 2018 wurde der Band das prestigeträchtige Stipendium des Vereins Yehudi Menuhin Live Music Now Berlin e.V. verliehen. Kurz darauf erreichte sie das Finale des Biberacher Jazzpreises und gewann beim Sparda Jazz Award 2019 den 2. Platz. Außerdem nahm sie am Future Sounds Jazzpreis 2019 und am Bayrischen Jazzpreis 2021 teil. Kollaboriert hat Die Therapie außerdem etwa bereits mit Sebastian Studnitzky (Jazzanova), Olivia Trummer (Kurt Rosenwinkel Caipi Band), Marc Muellbauer (Julia Hülsmann Trio) und Malte Schiller. Im April 2019 erschien bei X-Jazz Music ihr Debütalbum „Freiraum“, mit dem die Band u. a. bereits beim X-Jazz-Festival Berlin, der Jazzrally Düsseldorf und den Leverkusener Jazztagen auftrat. Ihr Folge-Album Soundtrack For Forward Motion ist im Oktober 2021 bei Jazzlab Hamburg erscheinen. Aktuell ist die Gruppe für den Jazz-Nachwuchs-Preis Burghausen 2022 nominiert.
Arno Grußendorf – Gitarre Mathei Florea – Keys
Conrad Steinhoff – E-Bass Johannes Metzger – Schlagzeug.